Infor: Digitale Transformation durch die Cloud
Infor President Stephan Scholl im Interview
Stephan Scholl spricht über die rapide Entwicklung des Cloud-Geschäfts mit Business Applikationen, den Wettbewerb mit SAP und die Infor-Ambitionen in Europa und Deutschland.
Frage: Herr Scholl, Infor hat sich in den letzten sehr stark der Cloud verschrieben. Wie gut funktioniert diese Strategie?
Stephan Scholl: Das funktioniert exzellent. Wissen Sie, die Cloud ist der große Gleichmacher. Wir sind nicht der größte ERP-Anbieter, aber innerhalb kürzester Zeit zum bedeutendsten Anbieter von Cloud-basierten Branchenlösungen aufgestiegen.
Vor fünf Jahren lagen unsere Neukunden-Lizenzerlöse mit Cloud-Anwendungen noch bei 3%. Allein im 3. Quartal 2017 haben wir bereits satte 65% in der Cloud umgesetzt.
Als ich vor 3 Jahren öffentlich gesagt habe, dass wir uns in kürzester Zeit in diesem Segment an die Spitze setzen würden, wurde ich noch belächelt. Es war natürlich eine lange Reise und Infor hat sehr viel Geld investiert, aber letztlich werden wir die Erfolgreichsten in diesem Business sein.
Frage: Die Bedeutung der Cloud im Infor-Geschäft hat offensichtlich rapide zugenommen. Worauf führen Sie das zurück?
Stephan Scholl: Was gerade passiert und was wir unter anderem eben auch in Deutschland immer mehr sehen: SAP-Kunden, und zwar auch große, wechseln das Lager. Selbst für mich, der ich die Dinge sehr offensiv angehe, entwickelt sich alles viel schneller, als ich es erwartet hatte. Zum Teil ist es natürlich von SAP selbst verschuldet, und ich verstehe deren Strategie nicht. Eine Migration von R3 nach S4 auf Hana lassen sie sich mit einer neuen Lizenz bezahlen, zusätzlich zu dem notwendigen Migrationsprojekt, welches allein schon Millionen kostet. Zudem hat SAP nur einen Hosted Cloud Ansatz anzubieten.
Bei Infor sind die Branchenanwendungen vollständig integriert und Cloud-nativ implementiert. Das und die vergleichsweise geringen Kosten macht die Migration von SAP zur Infor Cloudlösung so attraktiv für viele SAP-Kunden.
„Infor ist bereits der größte Anbieter von Cloud-Branchenlösungen“
Frage: Was ist Ihre derzeit größte Herausforderung?
Stephan Scholl: Unsere größte Challenge ist derzeit die Marke. Die Leute wissen immer noch nicht so genau, mit wem sie es bei uns zu tun haben. SAP ist in diesem Business die führende Marke und ich wünschte, wir hätten bereits eine nur annähernd so hohe Marken-Bekanntheit.
Aber sobald wir mit den Leuten in Kontakt kommen, werden die Augen groß, denn sie stellen plötzlich fest, dass wir so breit wie SAP aufgestellt sind, und in manchen Branchen sogar noch breiter. Und so werden wir in Kürze Neuzugänge von mehreren Top-50 deutschen Firmen, darunter auch SAP-Kunden, zu vermelden haben.
Frage: Welche Bedeutung hat der deutsche und europäische Markt für Infor?
Stephan Scholl: Wir investieren derzeit sehr viel in Deutschland. Mit Jörg Jung haben wir hier kürzlich einen herausragenden Manager gewonnen. Wir haben mit Cormac Watters außerdem einen neuen Executive Vice President and General Manager für Europa, der von SAP kommt. Darüber hinaus haben wir Partnerschaften mit führenden Beratern wie Deloitte, Accenture und Cap Gemini aufgebaut.
Kurz gesagt: Wir gewinnen Kunden von Wettbewerbern, wir gewinnen Neugeschäft, und wir erweitern unser Team mit talentierten Leuten. Auf dieser Basis soll Europa immer stärker unabhängig von unserem US-Geschäft werden. Die Tradition ist ja bereits da und die Grundlage gelegt.
Zudem haben wir in Deutschland die Technik stark ausgebaut. Das Herz ist das AWS-Datacenter in Frankfurt. Hier haben wir massiv zusammen mit Amazon investiert. Es ist weit über Deutschland hinaus für unsere europäischen Kunden wichtig, von Norwegen bis Italien bis Spanien.
Frage: Der Schritt von einer individuellen Legacy-Applikation hin zur Cloud erscheint sehr groß. Wie geht Infor das mit seinen Kunden an?
Stephan Scholl: Wir sehen jetzt überall, dass Firmen von jetzt auf gleich auf die Cloud setzen. Es ist schon interessant, wenn sich Unternehmen, die seit 30 Jahren eine Legacy-Anwendung fahren, plötzlich ihre IT-Strategie auf Cloud-Technologien umstellen.
Das Entscheidende dabei: Es geht dabei nicht um ein Von-Null-auf-Hundert in ein paar Sekunden. Vielmehr ist es eine Reise. Hier spielen wir unsere Stärke aus. Mit Infor müssen sie nicht vom ersten Tag All-In gehen. Wenn Sie sich anfangs nicht wohl damit fühlen, uns alle Ihre Anwendungen vollständig anzuvertrauen, können Sie elegant mit einzelnen Applikationen auf Basis unseres Infor-OS beginnen. Enterprise Asset Management und HR sind schöne Beispiele für erste Schritte in die Cloud. Sie beginnen damit und binden diese an Ihre vorhandene Infrastruktur an. Crawl, Walk, Run – das ist unsere Strategie.
Wir haben aber auch die großen Anwender wie Travis Perkins im Vereinigten Königreich oder Nutreco in den Niederlanden, die sind direkt All-In gegangen.
Frage: Wie schaffen Sie es eigentlich, so große Unternehmen in einem Zug vollständig auf die Cloud umzustellen, in so kurzer Zeit?
Stephan Scholl: Dazu muss man sich mal die Historie der Softwareentwicklung ansehen. Typischerweise läuft es doch so, dass umfangreiche Anforderungen zusammengetragen werden und darauf Software umfassend angepasst wird. In der Sekunde, wo Sie diese Reise hin zu einer individuellen Lösung beginnen, ist die Sache schon gelaufen. Die Kosten laufen dann meist aus dem Ruder, Integrationen werden zum Alptraum.
Wenn wir auf die Cloud umstellen, sind wir sehr aggressiv. Und unsere Kunden haben sich verändert. Wir reden vermehrt nicht mehr mit CIOs, sondern mit den CEOs und CFOs. Diese verstehen es mit unserer Beratung zumeist sehr gut, dass Verzicht auf oftmals unnötige Customizations mehr hilft als schadet.
Das Ziel lautet zwar „no mods“, aber so etwas gibt es natürlich nicht. Mit „no mods“ meinen wir nicht zu 100% anpassungsfrei, sondern eine andere Größenordnung: Statt tausender Anpassungen sind es am Ende vielleicht nur ein paar Dutzend.
Aus diesem Grunde haben wir unsere Integrationsplattform Mongoose geschaffen. Sie können damit unsere Standard-Cloud-Applikationen um eigene Funktionalitäten ergänzen, ohne den Standard zu verändern. Ein gutes Beispiel dafür sind eigene Preisfindungslogiken. –- Wir sehen das als echten Sieg an!
Frage: Was ist Infors Message an den deutschen Mittelstand?
Stephan Scholl: Die meisten Mittelständler sind heute under attack – wie auch die meisten Unternehmen im Rest der Welt. Es gibt keinen sicheren Hafen mehr, jeder kann heutzutage mein Wettbewerber sein oder werden.
Die Frage ist also, wie kann der deutsche Mittelstand wettbewerbsfähig bleiben. Wie kauft der Kunde Ihre Produkte? Wenn es heute noch per Telefon, Fax oder Mail ist, sind Sie aus dem Geschäft. Wenn Sie keine mobile Applikation haben, wenn Sie keine Personalisierung anbieten, sind Sie aus dem Geschäft. So einfach ist das.
Wir fragen also unsere potentiellen Kunden: Wie wollen Sie Ihr Unternehmen transformieren, um Ihre Kunden besser zu bedienen? Wo soll künftig der Umsatz generiert werden? Wer ist Ihr Wettbewerb und wie werden Sie ihn übertrumpfen?
Bessere Services anzubieten ist heutzutage ein Schlüssel. Denn gerade im Service- und Wartungs-Bereich kann man heutzutage mehr Geld verdienen als mit dem eigentlichen Produkt. Man schaue sich nur IoT an, oder präventive Wartungsleistungen.
Das Interview führte Andrej Radonic beim Infor Next Event in Dortmund im November 2017.